Seit mehr als 20 Jahren wird in Weimar schon über eine neue Umgehungsstraße im Osten diskutiert. Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan scheint nun alles besiegelt. Doch was passiert nun wirklich?
Lange schon schwelt in Weimar die Diskussion um eine Ostumfahrung. Die Stadtratsbeschlüsse wiedersprechen sich, Ministerium und Stadtverwaltung sind unterschiedlicher Meinung und auch die Einwohner sind sich nicht einig. Streitpunkt ist vor allem eins: der Trassenverlauf.
Vor Kurzem hat der Bundestag nun den Bundesverkehrswegeplan 2030 beschlossen. Damit wurde das Projekt in den vordringlichen Bedarf eingeordnet. Das heißt, dass der Bund ab sofort 25 Millionen Euro für den Bau der Straße bereitstellt. Es könnte damit eigentlich losgehen. Doch jubeln hört man niemanden. Eher verstärkt sich der Eindruck, dass die politischen Akteure das Projekt gedanklich schon zu den Akten gelegt haben. Was passiert nun?
Das Problem: viel Verkehr
Wer sich in die Diskussion um eine Ostumfahrung Weimars einlesen will, muss tief graben. Die Angaben sind verwirrend, widersprüchlich und teilweise schwer nachzuvollziehen – genauso wie die Debatte selbst. Das Problem jedoch scheint eindeutig: Die B7 führt direkt durch Weimar hindurch. Straßen wie die Friedrich-Ebert-Straße, die Buttelstedter Straße und die Jenaer Straße sind zu den Stoßzeiten häufig verstopft, und Anwohner klagen über den Lärm und die Abgase der vielen tausend Autos. Sie fordern schon lange eine Umgehungsstraße, die den Verkehr der Bundesstraße um Weimar herum führt.
Karte: Die Varianten 1 und 3+ für die geplante Ortsumgehung Weimar
Für die Ortsumgehung Weimar sind mehrere Varianten im Gespräch. Am wahrscheinlichsten sind die Varianten 1 (schwarz) und 3+ (blau). Deren etwaigen Verlauf haben wir hier dargestellt. Es handelt sich dabei um eine grobe Orientierung, die detaillierten Verläufe sollen erst ausgearbeitet werden.
Doch wo soll so eine Straße entlang führen? Über einen möglichen Verlauf ist man in der Goethestadt schon lange uneins. In einem sogenannten Raumordnungsverfahren im Jahr 2000 entschied sich der Stadtrat für einen Trassenverlauf durch Tiefurt (Variante 1). Der Stadtrat entschied sich im Frühjahr dieses Jahres jedoch für die längere Variante 3+, die weit um Weimar herum führt. Mögliche andere Varianten – wie ein 100 Millionen Euro teurer Tunnel unter dem Webicht – werden kaum noch diskutiert.
Die Lösung: eine Ostumgehung?
Oberbürgermeister Stefan Wolf (SPD) sieht die Sache entspannt. „Die Lage ist nicht so dramatisch, wie sie oft dargestellt wird“, sagt Wolf gegenüber Thüringen24. Mehr als 90 Prozent des Verkehrsaufkommens sei sogenannter Quell-Ziel-Verkehr, also Verkehr in die Innenstadt hinein oder heraus. Nur etwa zehn Prozent seien durch Fernverkehr verursacht, die Entlastung durch eine Umgehung sei dementsprechend gering.
Wolf fürchtet durch eine Umfahrung sogar noch mehr Verkehrsaufkommen, wenn etwa Ziele im Norden der Stadt angesteuert werden. „Die Trasse ist außerdem frühestens in zehn Jahren fertig, bis dahin wird beispielsweise die Lärmbelästigung durch Elektroautos wesentlich gesunken sein“, so Wolf weiter.
Obwohl der Oberbürgermeister eine Umgehungsstraße augenscheinlich gar nicht für notwendig hält, präferiert er die Variante 3+, nach der die Ostumgehung großzügig um Weimar herum führen und an Kromsdorf und Umpferstedt vorbei bei Frankendorf wieder auf die B7 führen würde.
Widerstand in Tiefurt
Im Bundesverkehrswegeplan jedoch wurde mit dem Trassenverlauf 1 geplant. Demnach soll die Straße vom Kreisverkehr in Schöndorf aus an Tiefurts Kläranlage sowie am Webicht vorbei führen. Massiver Protest gegen diese Streckenführung kommt vom Ortsteil Tiefurt selbst. „Tiefurt ist ein Touristenmagnet. Die Menschen, die hierher kommen, sind dankbar für die Ruhe, die sie hier finden“, sagt Ortsteilbürgermeister Jörg Rietschel (SPD). Der Tiefurter Park, der Teil des Ilmparks und auch des Unesco-Weltkulturerbes ist, sei dadurch massiv bedroht. Rietschel ist sich bewusst, dass Tiefurt als direkt betroffenes Viertel sicherlich eine subjektive Sicht hat. Doch seine Argumentation kann er mit Zahlen belegen.
Mittlerweile lehnt der Ortsteilrat von Tiefurt eine Ostumfahrung komplett ab. „Die Zahlen zeigen, dass der Verkehr auf den betroffenen Straßen seit 2000 bereits um zehn bis 15 Prozent zurückgegangen ist“, so Rietschel. „Auch die Prognosen sehen einen Verkehrsrückgang. Das angebliche Weimarer Verkehrschaos ist doch nichts im Vergleich mit anderen Städten.“ Lediglich in den Stoßzeiten komme es zu Staus, er kenne das ja selber. „Ich will die Belastung der Anwohner ja gar nicht in Abrede stellen. Aber selbst wenn die Umgehung kommt: Diese Straßen werden nie ruhige Straßen werden. Da wird doch keine Spielstraße draus.“
Tiefurt will Unesco kontaktieren
Tiefurt wolle nun erneut Kontakt zur Unesco aufnehmen. Denn der Ortsteil befürchtet, den Unesco-Weltkulturerbetitel zu verlieren, wenn die Straße so nah am Park vorbeiführt. Besonders nach dem Fall Dresden, als die sächsische Landeshauptstadt wegen des Baus der Waldschlösschenbrücke ihren Weltkultuerbe-Titel verlor, habe sich die Einstellung der Unesco zu solchen Themen sicherlich geändert, so Rietschel. „Und selbst wenn die Straße kommen soll: Die erforderlichen Grundstücke sind alle in Tiefurter Hand. Damit können wir das Vorhaben im schlimmsten Fall für fünf bis zehn Jahre hinauszögern“, ergänzt Rietschel.
„Weimar braucht eine nachhaltige Verkehrspolitik“
Unterstützung bekommt Rietschel unter anderem von den Grünen. Die Stadtratsfraktion in Weimar lehnt den Bau einer Ostumfahrung grundsätzlich ab, erst recht den Verlauf durch Tiefurt. „Die Vertreter der Großen Straßenbau-Koalition sollten es unterlassen, den Tiefurtern Sand in die Augen zu streuen – die Gefahr für Tiefurt ist real,“ so Andreas Leps, grüner Fraktionsvorsitzender im Weimarer Stadtrat. Alle Prognosen, die von einer Verkehrszunahme für Weimar ausgingen, seien falsch. Weimar brauche keine Umfahrung, sondern eine nachhaltige Verkehrspolitik.
Der Ball liegt beim Ministerium
Wie es nun weitergeht, ist ungewiss. Denn das zuständige Ministerium für Infrastruktur gehört ebenfalls nicht zu den Befürwortern des Projektes. Ministerin Birgit Keller (Linke) hatte eigentlich dafür plädiert, das Projekt nicht in den vordringlichen Bedarf einzuordnen. Grund war, „dass die Stadt Weimar eine andere Variante als Variante 1 bevorzugt und daher schwierige und langwierige Untersuchungen zu erwarten sind. Damit wäre eine Realisierung im Geltungszeitraum des BVWP unwahrscheinlich“, wie es in einer Stellungnahme des Ministeriums gegenüber Thüringen24 heißt. Der Bund aber entschied anders.
Trotzdem sieht das Ministerium mit dem Beschluss des Bundesverkehrswegeplans keine Festlegung auf einen bestimmten Verlauf der Straße, sondern vielmehr „eine Prüfung verschiedener Varianten und schließlich die Festlegung der zu bauenden Trassenvariante durch die Straßenbauverwaltung Thüringen“.
Vor der nächsten Wahl wird nicht mehr viel passieren
Damit ist das Ministerium nun selbst am Zug: Das Land muss den Auftrag für weitere Planungen geben. Dies könne jedoch erst schrittweise ab 2017 in Anspruch genommen werden, „die Vorbereitung und Abstimmung zur planerischen Einordnung der Vorhaben laufen bereits, sind aber noch nicht abgeschlossen“, so das Ministerium. Man müsse sich nun zunächst mit der Stadt Weimar abstimmen und habe daher noch keinen genauen Termin für eine Auftragsvergabe. Viele Politiker gehen davon aus, dass sich vor der nächsten Wahl nicht viel tun wird. Eine neue Bundesregierung könne den Plan ja schließlich aufheben, dass würde vielen in Weimar in die Hände spielen.
Lieber mehr ICs zwischen Weimar und Jena als Ostumfahrung
Alle diese Akteure ein eines: Sie alle wollen, dass das Geld lieber in die Elektrifizierung der Mittedeutschland-Verbindung der Deutschen Bahn zwischen Weimar und Jena gesteckt wird. „Dann könnten auch wieder mehr ICs auf der Strecke fahren“, sagt Oberbürgermeister Wolf. „Es wurde vonseiten der Stadt bereits bemängelt, dass an Weimars Bedürfnissen vorbeigeplant wurde.“
„Weimar würde davon viel mehr profitieren“, findet auch Tiefurts Ortsteilbürgermeister Rietschel. Er sieht im Zusammenhang mit der Gebietsreform, bei der Weimar seinen Status als kreisfreie Stadt verlieren soll, sogar eine „Verschwörung der Landesregierung gegen Weimar“.
Es scheint fast so, als würde das Projekt aufgrund der vielen gegensätzlichen Positionen im Sande verlaufen, das scheinen manche Akteure wohl sogar zu bezwecken. Böse scheint, bis auf die Anwohner, kaum jemand darüber zu sein. Doch zurücklehnen will Tiefurt sich nicht, sondern weiter Druck auf die Politiker ausüben. „Was auch passiert, wir werden kämpfen bis zum Umfallen“, so Ortsteilbürgermeister Rietschel.