Auch einige Tage nach der Stichwahl in Sonneberg ist die Erklärungsnot noch immer hoch. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat es ein AfD-Politiker in das Amt eines Landrates geschafft – und das, obwohl die Partei vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft und beobachtet wird.
Plötzlich steht der kleinste Thüringer Landkreis im großen Rampenlicht. Alle fragen sich, warum die AfD ausgerechnet hier so viel Zuspruch findet. Vor allem aus den alten Bundesländern hört man immer wieder die Deutung: Das ist halt „typisch ostdeutsch“. Der Chef der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Thomas Krüger, warnt aber jetzt vor genau solch einer vereinfachten Interpretation. Seine Analyse der Wahl in Sonneberg ist brachial.
Sonneberg: „Ich warne davor“
„Ich warne davor, die Wahl der AfD noch als Protest zu begreifen“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) am Sonntag (2. Juli). Das sei eine Verharmlosung, denn: „Die Wählerinnen und Wähler wollen diese Partei, darin besteht der Ernst der Lage.“
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Der AfD-Politiker Robert Sesselmann war mit 52,8 Prozent der Stimmen ins Amt des Landrates gewählt worden. Sein Gegenkandidat, Jürgen Köpper (CDU), bekam lediglich 47,2 Prozent der Stimmen. Gleichzeitig befindet sich die AfD auch bundesweit in einem Umfragehoch – und hatte zuletzt sogar die SPD in einer Sonntagsfrage überholt (hier mehr dazu).
Da die Rechtsaußen-Partei vor allem in den „neuen Bundesländern“ Fuß fassen kann, liegt der Verdacht nahe, die Beliebtheit der AfD mit einer vermeintlichen „ostdeutschen Mentalität“ in Zusammenhang zu bringen. Diese Interpretation macht es sich aber zu einfach, findet Krüger.
Sonneberg: „Erfolgreiches Radikalisierungskollektiv“
Hinter dem Etikett „typisch ostdeutsch“ verberge sich eher der Versuch der Nicht-Ostdeutschen, das Phänomen zu erklären, sagte der bpb-Boss, der selbst aus Thüringen kommt. „Und dieses Phänomen besteht darin, dass relativ gut situierte Bürgerinnen und Bürger in einem sehr kleinen Landkreis der Meinung sind, dass rassistische, antisemitische und menschenfeindliche Positionen von einer vorrangig von Westdeutschen repräsentierten und in Teilen rechtsextremen Partei salonfähig gemacht werden.“
Er bezeichnet die AfD als „erfolgreiches Radikalisierungskollektiv“. Es hätten sich in Teilen der Gesellschaft bestimmte Positionen etabliert, die nicht hinnehmbar seien. Aber auch die öffentlichen Streitereien der Ampel würden die Wähler ins nicht demokratische Spektrum führen, sagte Krüger dem Evangelischen Pressedienst (epd).
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Ob es eine Lösung gibt? Vielleicht. Für Krüger wäre ein wichtiger Beitrag dazu „ein Konservatismus, der weiß, wofür er steht, und sich nicht nur durch Abgrenzung definiert“. Außerdem brauche es ein „Zusammenspiel von progressiven und konservativen demokratischen Kräften gegen rechtsaußen“.
Wenn Politiker aber jetzt fordern, mehr Verständnis für die Probleme der AfD-Wähler zu zeigen, sei das kontraproduktiv, so Krüger. (mit epd)