„Mit Liebe und Begeisterung“: Unternehmerin des Jahres im Interview
Zum 17. Mal hat der Bundesverband mittelständischer Wirtschaft (BVMW) in dieser Woche die Unternehmer des Jahres gekürt. Im Weimarer Land wurde Andrea Krug, Gründerin des Weberhof, ausgezeichnet. Sie ist eine der wenigen Frauen, die jemals diesen Preis erhalten hat.
Es ist kalt und nieselt, doch den Gästen macht das nicht allzu viel aus, vor allem nicht den kleinen. Etliche Kinder aus dem Weberhof sind zur Preisverleihung gekommen, auch Hof und Eingang wurden liebevoll geschmückt. Der Weberhof, das ist ein Kinderheim der besonderen Art in Tonndorf nahe Bad Berka. Andrea Krug, die den Weberhof vor elf Jahren gegründet hat, erhält in diesem Jahr die Auszeichnung der Unternehmerin des Jahres Weimarer Land. Sie ist sichtlich gerührt, als am Mittwoch die Laudatio gehalten wird. Was ist das für eine Frau?
Ein Dorf für ein Kinderheim
Andrea Krug ist ausgebildete Pädagogin und studierte Betriebswirtschaftlerin. Die gebürtige Tonndorferin half schon zu Studienzeiten in Hamburg einen Jugendhilfeträger aufzubauen. Schnell war für sie klar: Ihr Weg führt in die Selbstständigkeit. Und zwar in Tonndorf.
Thüringen24: Warum hat es dich zurück nach Tonndorf gezogen? Andrea Krug: Das hing auch mit den Grundstückspreisen in Hamburg zusammen, denn mein Unternehmen war von vorneherein mit Tieren geplant. Als ich irgendwann dem Bürgermeister von Tonndorf davon erzählt habe, meinte der: „Das musst du aber hier machen!“ Wir haben dann vom Bürgermeister die Gemeinde bekommen, das ist das Haus eins.
Was verbindet dich mit Thüringen? Tonndorf ist meine Heimat. Hier wird die Arbeit mit schwierigen Kindern gut mitgetragen. Ich erlebe mich hier nicht als Fremdling. Tonndorf ist ein reizarmes Umfeld, ich denke dass wir in der Stadt weniger Erfolg haben würden, auf dem Land sieht das ganz anders aus.
„Reizarm“ sehen sicherlich nicht alle als Kompliment. Doch, das ist ein Kompliment. Wir haben hier die Möglichkeit, im jahreszeitlichen Rhythmus zu leben, dicht dran an der Natur. Wir erleben die Jahreszeiten anders, für uns ist völlig klar, dass man im Frühjahr den Garten bestellt und im Sommer erntet, im Herbst Mais stoppelt und im Winter Schlitten fährt und die Weihnachtszeit genießt. Und wenn es irgendein Problem gibt, dann kommen die Bürger direkt zu mir, nicht zum Bürgermeister. Das ist eine andere Ebene, als wenn wir Fremde wären, es ist quasi keine Hemmschwelle da.
Das ist ja auch schön, wenn die Gemeinde hinter einem steht. Genau. „Die Erziehung eines Kindes bedarf eines ganzen Dorfes“, das ist ein altes indianisches Sprichwort. Das bedeutet, dass man bei der Erziehung eines Kindes nicht nur als Mutter ausreicht, sondern dass man eine ganze Gesellschaft braucht. Kinder brauchen nicht nur ein Vorbild, sondern eben auch verschiedene Altersgruppen, und so ist der Weberhof ja auch aufgebaut. Die älteren Kinder helfen mit, die Jüngeren zu erziehen.
„Was man mit Liebe und Begeisterung macht, wird gut.“
Jetzt wurdest du ja als Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet. Was macht deine Arbeit und auch den Weberhof so besonders und erfolgreich? Besonders ist sowieso alles, was man mit Liebe und Begeisterung macht. Besonders ist bei uns die gesamte Struktur, hier sind ja nicht nur Pädagogen und Kinder am Start, sondern eben auch Tiere als Kommunikationsmittler und Herzensöffner. Denn die Kinder, die zu uns kommen, sind meist nicht mehr so offen. Wir nehmen auch nur Kinder auf, die in anderen Einrichtungen nicht mehr aufgenommen werden. Von vorneherein waren wir auch so aufgestellt, dass wir nur langfristige Maßnahmen machen, denn ich will das Kind nachhaltig bilden und fördern. Beziehungsarbeit ist das wichtigste Element in unserer Pädagogik. Ohne Beziehung können wir nicht erziehen. Ein Kind, das weiß, dass es bald zurück nach Hause geht, lässt sich nicht auf diese Beziehung ein. Meine Hauptaufgabe sehe ich eben darin, Kinder so in unsere Gesellschaft zu entlassen, dass sie tatsächlich selbstständig sind, und auch ihre Kinder nicht wieder Fälle von Jugendhilfe werden.
Du bist erst die zweite Preisträgerin, die aus der Sozialwirtschaft kommt. Die pädagogische Arbeit ist nur eine Seite deines Jobs, die unternehmerische Arbeit die andere. Was macht dich aus unternehmerischer Sicht erfolgreich? Zum einen ist bei uns die Verwaltung sehr schlank, für eine schnelle Entscheidungsfindung im Sinne des Kindes. Maßgeblich erfolgswirksam sind denke ich auch die Kooperationen mit den Sozialarbeitern in den Ämtern. Wir können schnell entscheiden und Hilfen kreieren, so greift die Hilfe beim Kind auch schnell. Das funktioniert denke ich in anderen Einrichtungen nicht in der Schnelligkeit und in dieser Präzision. Ich habe eben diesen pädagogischen Benefit, weil ich da die Berufserfahrung habe, und zum anderen kann ich selbst auch das finanzielle Konzept dafür erstellen. Der Weberhof zeichnet sich auch dadurch aus, dass wir ein sehr interdisziplinäres Team sind, wir arbeiten Hand in Hand, das ist echte Teamarbeit. Wir haben ein gutes Netzwerk und arbeiten lösungs-, nicht problemorientiert.
Landrat Münchberg, der heute kommen sollte, hat kurzfristig abgesagt. Herr Siemon vom BVMW bedauerte bei der Preisverleihung in diesem Kontext, dass der Weberhof nicht die Wertschätzung bekommt, die ihm zusteht. Wie schätzt du die politische Unterstützung ein? Die Kooperation mit den Jugendämtern klappt ganz unterschiedlich. Viele Sozialarbeiter sind sehr überfordert mit der hohen Fallanzahl, die sie zu stemmen haben. Den Landrat haben wir schon oft eingeladen, der wohnt im Nachbardorf. Ich weiß nicht, ob er von dieser Perle der Jugendhilfelandschaft schon mal etwas wissen wollte oder weiß. Jugendhilfe scheint mir auch kein großes Politikum zu sein. Viele Gesetze und auch der Rahmenvertrag (zur Leistungserbringung in der Jugendhilfe, A.d. R.) sind reformierungsbedürftig, wir Unternehmer bewegen uns da auf dünnem Eis. Ich denke schon, dass die Politik in dem Bereich aufmerksamer werden sollte.
Das Konzept des Weberhofs sieht ja unter anderem vor, eine Art Großfamilie zu schaffen, in der durch den Alltag Sicherheit und ein geschützter Raum für die Kinder entsteht. Du selbst wohnst ja mit deinem Mann und deinen Kindern hier mittendrin. Hast du überhaupt Privatsphäre? Ich selbst habe die Einrichtung als innewohnende Betreuerin vor zwei Jahren verlassen. Der Grund dafür war, dass das Personal gesagt hat, Andrea schütze dich doch mal, zieh doch endlich aus. Die Privatsphäre ist trotzdem sehr gering, es ist sehr viel Arbeit, es bleibt sehr wenig Zeit für Familie, und ich selbst steh da ziemlich hinten an.
Trotzdem machst du weiter. Was liebst du an deiner Arbeit? Es macht mir Spaß zu sehen, wie Kinder über sich hinauswachsen, wie sie sich entwickeln. Wie auch Fälle, die aussichtslos erscheinen, als Sterne glänzen können. Viele kommen immer wieder gerne hier her, und sagen „das war mein Zuhause, ich hab hier viel mitgenommen, danke“. Das ist der größte Lohn.
Betriebswirtschaftlicher Wahnsinn vs. individuelle Pädagogik
Nun bist du außerdem eine der wenigen Frauen, die diese Auszeichnung jemals in Thüringen bekommen hat. Es gibt offensichtlich wenige Frauen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen. Woran liegt das? Erscheint das Risiko zu groß? Am Ende ist es der Mut. Wenn man den hat, dann ist es egal in welchem Bereich man sich selbstständig macht. Aber den Spagat zwischen Familie und Unternehmen zu halten, das ist sehr schwer. Ich merke auch, dass ich ganz oft an die Grenzen gehe, und auch über die Grenzen hinaus. Das muss man nicht wollen. Vielleicht wollen manche Frauen sich auch nicht auf diesen betriebswirtschaftlichen Wahnsinn einlassen. Vielleicht trauen sie es sich einfach nicht zu. An dieser Stelle habe ich ja ein sehr gesundes Urvertrauen, weil ich von meiner Familie eine ganze Portion Liebe und Selbstvertrauen mit auf den Weg bekommen habe.
Du hast eben kurz den betriebswirtschaftlichen Wahnsinn angesprochen. Auf den ersten Blick sind pädagogische Arbeit und knallharte wirtschaftliche Aspekte schwer zu vereinbaren… Das ist nicht schwer zu vereinbaren, wenn man seine Kosten gut verhandelt und transparent macht. Aber es ist schwer, das so durchzubringen.
Für die Verhandlungen braucht man sicher auch eine ganze Stange Selbstbewusstsein und Hartnäckigkeit. Ja, genau. Und Fachwissen. Das meinte ich vorhin ja auch, warum wir so erfolgreich sind: ich habe zum einen die Pädagogik in der Tasche und zum anderen auch die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse, die ich dann zusammenbringe und damit die Hilfen kreiere. Das ist denke ich ein großer Punkt, und wenn man das beides in einer Person hat, dann wird da sicher was Erfolgsversprechendes draus.
Hast du trotzdem Wünsche für die Zukunft? Ich wünsche mir, dass wir noch individuellere Hilfen stricken können, flexible eins zu eins Betreuungen zum Beispiel. Ich möchte auch mehr aktuelle Wissenschaft in die Ausbildung hier im Weberhof tragen, zum Beispiel im Bereich der Traumapädagogik oder der neurobiologischen Kenntnisse. Ich würde mich dafür einsetzen wollen, dass mehr Teamarbeit vermittelt wird. Denn ich denke, dass wir als Team gut aufgestellt sind, mit dem Personal, das sich permanent fort- und weiterbildet, und sich komplizierteren Aufgaben immer mehr stellt.
Würdest du sagen, dass du deinen Traum lebst? Ja, auf jeden Fall!