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Frisch gezapfte Milch immer öfter von Milchtankstelle

Frisch gezapfte Milch immer öfter von Milchtankstelle

Milchtankstelle in Oberwellenborn
Der Geschäftsführer der Agrargenossenschaft Kamsdorf, Dirk Reichelt, steht in der Milchtankstelle in Oberwellenborn (Landkreis Saalfeld-Rudolstadt). Foto: dpa

Der Milchpreis ist im Keller. Immer mehr Bauern wählen deswegen den direkten Weg zum Verbraucher – und treffen damit den richtigen Nerv.

An Dirk Reichelts Tankstelle bekommen Kunden keinen Benzin oder Diesel – aus seinem Zapfhahn fließt frische Milch. Im April hat seine Agrargenossenschaft Kamsdorf in der Nähe von Saalfeld eine Milchtankstelle eröffnet. „Unsere Erwartungen wurden mehr als übertroffen“, berichtet der 42-Jährige. „Am Wochenende verkaufen wir mitunter mehr als 200 Liter an einem Tag. Für das selbe Geld müssten wir 1000 Liter Milch an die Molkerei liefern.“ Wegen ruinöser Preise, mit denen Bauern seit Monaten zu kämpfen haben, schießen Milchautomaten wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden.

Wie viele solcher Apparate es in Deutschland inzwischen gibt, lässt sich schwer sagen. Der Deutsche Bauernverband hat dazu keine Zahlen, bestätigt aber, dass sich immer mehr Milchbauern solche Automaten zulegen. Internetportale wie „milchtankstellen.de“ oder „milchautomaten-direktvermarkter.de“ listen zwischen 164 und 244 Standorte bundesweit. „Es gibt locker noch 600 weitere“, sagt Dirk Hensing, der den Vertrieb für den nordrhein-westfälischen Hersteller Risto Vending in Deutschland organisiert und das Milchtankstellen-Portal betreibt. „Ich gehe davon aus, dass noch mehrere Tausend hinzukommen in den nächsten Jahren.“

Täglich im Schnitt zwei neue Milchtankstellen

Täglich würden im Schnitt zwei neue Milchtankstellen von Risto eröffnet. Auch andere Hersteller sprechen von einer stark gestiegenen Nachfrage. „Seit Anfang 2016 hat das extrem angezogen“, erklärt Alfred Bruni. Sein Unternehmen Brunimat in der Schweiz stellt nach eigenen Angaben seit 22 Jahren Milchautomaten her – in der einfachsten Ausführung ab etwa 5000 Euro. Die Produktion sei nun stark erhöht worden, dieses Jahr dürften es mehr als 500 verkaufte Automaten werden, sagt er.

Die Milch direkt vom Hof trifft offensichtlich den Wunsch vieler Verbraucher nach frischen, unbehandelten Lebensmitteln aus der Region. Manfred Conrad aus Landshut hat sich an diesem Morgen zwei Flaschen bei Reichelt gezapft. Der 67-Jährige macht Urlaub am nahegelegenen Stausee. „Meine Frau trinkt die frische Milch so gern.“ Dass er mit einem Euro je Liter viel mehr zahlen muss als im Laden, stört ihn nicht: „Das ist ein fairer Preis für die Bauern.“

Keine Lösung für Misere am Milchmarkt

Dennoch: Der Verkauf von Rohmilch direkt an Verbraucher wird die Misere am Milchmarkt wohl nicht lösen. „Das rettet uns Bauern nicht“, konstatiert Udo Folgart, Vorsitzender des Fachausschusses Milch beim Deutschen Bauernverband. Der Boom solcher Automaten sei angeheizt worden, durch den anhaltenden Preisverfall bei Milch. Deswegen hätten sich Bauern vielerorts Gedanken gemacht, wie sie dem begegnen können. „Das wird eine Nische bleiben“, meint Folgart. Denn richtig lohnen würde sich ein solcher Automat nur an stark frequentierten Standorten – etwa mit Pendler- und Urlauber-Verkehr.

Direktverkauf mit Hürden

Eine Nische ist der Direktverkauf auch für Reichelts Betrieb. Dort geben rund 1400 Kühe jährlich etwa 13 Millionen Liter Milch. Zudem sind der Direktvermarktung aus hygienischen Gründen enge Grenzen gesetzt, da Rohmilch das Risiko von Krankheitserregern birgt. Am Automat warnt ein Schild: „Rohmilch vor dem Verzehr abkochen“.

Um dennoch mehr Milch direkt an Verbraucher zu verkaufen, wollte Reichelt den Automat ursprünglich an einer nahegelegenen Bäckerei direkt an der Bundesstraße 281 aufstellen. Doch Rohmilch darf laut Gesetz nur im Erzeugerbetrieb abgegeben werden. Der Landwirt kann das nicht verstehen: „Wenn ich gewährleisten kann, dass die Kühlkette nicht unterbrochen wird, warum kann ich dann nicht auch außerhalb meines Betriebes eine Milchtankstelle einrichten?“, fragt er. „Da muss die Politik überlegen, ob das nicht anders zu regeln ist.“

Lockerung der Regeln gefordert

Das Problem wird auch im Bauernverband diskutiert, ist aber noch nicht abschließend bewertet, wie Folgart berichtet. Aus seiner Sicht wäre es wünschenswert, wenn die bisherigen Regelungen gelockert würden. Gerade in Ballungsräumen ergäben sich so für Bauern bessere Chancen der Direktvermarktung – zumindest wenn es technisch und logistisch möglich ist, die Frische und hygienische Unbedenklichkeit zu garantieren. „Milch ist ein hochsensibles Produkt.“

Die Hersteller von Automaten unterdessen warten nicht auf die Politik – sie bieten vermehrt technische Lösungen an, um den Boom voranzutreiben und daran zu verdienen. So will Risto Vending im Herbst einen Pasteur vorstellen, wie Hensing ankündigte. Damit können Bauern ihre Milch selbst pasteurisieren und dann auch in Automaten jenseits ihres Hofes verkaufen.

Bauernverband ist skeptisch

Auf diesen Weg setzt auch die Firma Milch-Concept aus Bayern. „Die Milch muss dahin, wo die Kunden sind“, sagt Geschäftsführer Peter Fograscher. Etwa direkt vor Supermärkte. Bauern könnten die Automaten dann dort selbst aufstellen oder Supermärkte Automaten an Landwirte verpachten. „Das ist die einzige Lösung, mit Milch-Direktvermarktung wirklich Geld zu verdienen.“

Folgart vom Bauernverband ist da skeptisch. Die Milch selbst zu pasteurisieren bedeute zusätzlichen Aufwand, betont er. Und auch die Investitionskosten seien dabei um ein Vielfaches höher.