Wer den Notruf 110 wählt, muss damit rechnen, dass sein Gespräch mit der Polizei aufgezeichnet wird. In diesem konkreten Fall geht das für Landesdatenschützer Lutz Hasse in Ordnung. Aber: Die selben Geräte, die über die 110 zu erreichen waren, haben in Thüringen bis vor Kurzem auch alle anderen Telefonate automatisch mitgeschnitten – auch wenn etwa ein Staatsanwalt angerufen hat oder ein Journalist. Insgesamt sollen laut einem MDR-Bericht seit 1999 Zehntausende Gespräche gespeichert worden sein – und das ohne Wissen oder Zustimmung der Gesprächspartner. Das Ganze ist nun ein Fall für die Staatsanwaltschaft, Gewerkschaften sehen einen Vertrauensbruch.
Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Erfurt liegen zwei Strafanzeigen vor. Ermittelt werde derzeit gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des Innenministeriums. Der Vorwurf laute auf Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, sagte Behördensprecherin Anette Schmitt-ter Hell am Mittwoch. Nach bisherigen Erkenntnissen sei aber nicht jedes Polizei-Telefonat mitgeschnitten worden, sondern nur bestimmte Apparate betroffen. Das Ganze soll auf eine Dienstanweisung aus dem Jahr 1999 zurückgehen, die nun ebenfalls Gegenstand von Ermittlungen ist.
Nach Angaben des Sprechers des Innenministeriums, Oliver Löhr, dürfen eigentlich nur Notrufe automatisiert aufgezeichnet werden. Nach bisherigen Erkenntnissen seien aber alle Gespräche auf Telefonen von Dienstgruppenleitern mitgeschnitten worden, die rund um die Uhr besetzt seien und wo auch solche Notrufe entgegengenommen wurden. Die Anlage habe nicht unterschieden, wenn von diesen Telefonen auch andere Gespräche geführt wurden und diese ebenfalls aufgezeichnet.
Mitschneiden inzwischen gestoppt
Auch nach der Umstrukturierung der Polizei samt Schaffung der Landeseinsatzzentrale in Erfurt wurden Notrufe in die einzelnen Inspektionen weitergegeben, so dass sie weiterhin von der Speicherung von Telefonaten betroffen waren. Inzwischen sei das Mitschneiden gestoppt, betonte Löhr. Zugriff auf die aufgezeichneten Gespräche hätten nur Administratoren gehabt.
Die Mitschnitte sollen routinemäßig nach 180 Tagen gelöscht worden sein. Nach Recherchen des MDR wurden aber auch Vermerke zu Telefonaten angefertigt und bestimmten Verfahren zugeordnet. Dem Sender zufolge war das Ganze durch einen Staatsanwalt aufgeflogen, der bei Nachforschungen darauf gestoßen war, dass Telefonate von ihm mit einer Polizeidienststelle ohne sein Wissen gespeichert wurden waren. Es bestehe der Verdacht, dass auch Gespräche etwa mit Rechtsanwälten, Justizbeamten, Sozialarbeitern und Journalisten aufgezeichnet worden seien, die dienstlich interne Polizeinummern angerufen haben.
Gewerkschaften empört
Gewerkschaften von Polizei und Journalisten äußerten sich empört. So sieht der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Kai Christ, das Vertrauen zum Innenministerium stark beschädigt. Dessen Glaubwürdigkeit habe „extrem gelitten“. Bereits 2013 habe es Gerüchte darüber gegeben, die damals aber dementiert worden seien. Christ forderte von Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) und Staatssekretär Udo Götze „eine einhundertprozentige Aufklärung“, welche Telefonnummern und welche Apparate überwacht wurden und was mit den Aufzeichnungen geschehen sei. In der Polizei hätten die Meldungen über die Mitschnitt-Praktiken erhebliche Unruhe ausgelöst.
Das Ministerium müsse klären, ob die Gespräche zwischen Journalisten und Polizisten nicht nur mitgeschnitten, sondern auch verarbeitet worden seien, forderte der Landesgeschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbandes, Ralf Leifer. Sollte es für die Praxis zudem keine rechtliche Grundlage gegeben haben, seien personelle Konsequenzen unumgänglich.
Landtag beschäftigt sich mit dem Thema
CDU-Innenexperte Wolfgang Fiedler kündigte an, den Sachverhalt zum Thema im Innenausschuss des Landtages zu machen. „Die Polizei und ihre Gesprächspartner müssen darauf vertrauen können, dass streng nach Recht und Gesetz gehandelt wird.“ Er führte aber auch an, dass der damalige Datenschutzbeauftragte die betreffende Dienstanweisung nicht beanstandet hatte. Es sei daher auch zu prüfen, ob das Vorgehen überhaupt von dieser Anweisung gedeckt war.
Für Landesdatenschützer Lutz Hasse ist noch unklar, ob es sich um ein punktuelles oder ein flächendeckendes Problem handelt. Sollten sich die Hinweise bestätigen, so werde er dies beanstanden und darauf dringen, dass unrechtmäßig mitgeschnittene Gespräche gelöscht werden – ebenso wie die in Rede stehenden Vermerke dazu. Nach bisherigem Stand vermute er aber „keine böse Absicht“ hinter den Aufzeichnungen.