Immer wieder ist in diesen Tagen im Netz die Rede davon, dass zu einseitig über die Befreiung der 20 verbliebenen israelischen Geiseln aus den Klauen der Hamas berichtet werde. Schließlich habe auch Israel rund 2.000 Häftlinge freigelassen – viele von ihnen seien auch „Geiseln“ gewesen. Was ist dran an diesem Vorwurf? Ein Faktencheck.
Tatsächlich hat Israel im Rahmen der Waffenstillstands-Vereinbarung am Montag etwa 2.000 Palästinenser aus der Haft entlassen. Ebenso wie in Israel gab es auch im Gazastreifen emotionale Szenen, als Familienmitglieder die Rückkehrer empfingen.
Bewegende Szenen am Montag auch im Gazastreifen
Besonders bewegend ist hierbei eine Videoaufnahme eines Palästinensers, der bei seiner Rückkehr erfahren haben soll, dass seine drei Kinder zwischenzeitlich bei israelischen Luftangriffen ums Leben gekommen sind. Er erlitt daraufhin einen Nervenzusammenbruch vor laufender Kamera. Die Angaben aus dem Video lassen sich nicht verifizieren, auch sind die Hintergründe des Mannes nicht bekannt.
Zurück zu dem Vorwurf, dass Israel selbst Geiseln genommen habe. Eine schwerwiegende Beschuldigung, weil sie den Terror der Hamas mit dem Vorgehen des Staates Israel gleichsetzt!
Zum Teil bereits verurteilte Terroristen
Fest steht: Rund 250 der 2.000 freigelassenen Palästinenser sind verurteilte Straftäter. Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP sollen sie vor allem im Rahmen der islamistischen Gruppierungen Hamas und Fatah Terrortaten, Morde und andere schwere Straftaten verübt haben.
Rund 1.700 der jetzt freigelassenen Häftlinge waren allerdings erst nach dem Terror-Überfall am 7. Oktober 2023 verhaftet und nach Israel gebracht worden. Die meisten saßen ohne Anklage und Verteidigung und auch ohne Kontakt zu ihren Familien in Gefängniszellen – also unter rechtsstaatlich höchst fragwürdigen Methoden.
Ohne Anklage in Haft – Israel wird kritisiert
Dieses Vorgehen der militärischen Paralleljustiz nennt sich Administrativhaft, die in der Regel mit Geheimdienstinformationen im Anti-Terror-Kampf begründet wird.
Aktuell sollen noch über Hunderte Menschen oder mehr in Administrativhaft sein, zum Teil jahrelang. Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen wie dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes wird der Zugang zu den Inhaftierten verwehrt, wie unter anderem der WDR berichtet.
Zudem gibt es Vorwürfe von seiten der Freigelassenen, dass es in israelischer Haft zu Folter und Essensentzug gekommen sein soll. Diese Angaben lassen sich bislang nicht unabhängig überprüfen. Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem wirft Israel vor, immer wieder Minderjährige in Administrativhaft zu nehmen. Auch gibt es Vorwürfe über körperlichen Missbrauch und sexuelle Übergriffe an Minderjährigen in Haft.
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Laut eines ORF-Bericht geht es um über 700 inhaftierte Kinder und Jugendliche jährlich. Sie werden unter anderem deshalb verhaftet, weil sie Steine auf israelische Soldaten in besetzten Gebieten geworfen haben sollen. Nur weil jemand minderjährig ist, heißt es nicht, dass er strafunmüdig ist, in Deutschland etwa liegt die Grenze bei 14 Jahren. Selbstverständlich gelten bei Strafprozessen gegen Jugendliche allerdings besondere Voraussetzungen und Bedingungen.
Hamas benutzte Geiseln als Druckmittel – Israel will mit Häftlingen nichts erpressen
Aber stimmt nun der Vorwurf, Israel habe ebenfalls Geiseln genommen? Kritiker sehen die Administrativhaft als willkürlich und menschenrechtswidrig an, während Israel sie als notwendige Sicherheitsmaßnahme im Anti-Terror-Kampf rechtfertigt. Anders als die Hamas und andere Terroristen benutzt Israel die Inhaftierten allerdings nicht als Faustpfand oder Druckmittel, um den Feind zu erpressen.
Somit ist eine Gleichsetzung der Hamas-Geiseln mit den von Israel Inhaftierten politisch und rechtlich höchst umstritten.

