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Verfassungsrechtlerin kritisiert Verantwortliche nach Thügida-Demo in Jena

Verfassungsrechtlerin kritisiert Verantwortliche nach Thügida-Demo in Jena

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Die Versammlungsfreiheit wird im Artikel 8 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland garantiert. Foto: Martin Kappel

Im Thüringen24-Interview erklärt die Verfassungsrechtlerin Barbara Bushart, warum sie sich von den Gerichtsentscheidungen zur Thügida-Demonstration am 9. November in Jena klar distanziert.

Wogegen sich die Stadt Jena gewehrt hat, ist am Donnerstag doch eingetreten. Erneut marschierten an einem historisch sensiblen Datum Thügida-Demonstranten mit Reichskriegsflaggen in Jena auf. Sie sprechen dabei von „Machtergreifung“, drohen mit Massenverhaftungen und bedrohen sogar namentlich bestimmtbare Personen. Noch viel mehr würde passieren, wenn Thügida-Chef David Köckert und seine Glaubensbrüder an die Macht kämen, so die Androhung. Nebenbei streuen die Thügida-Redner Hinweise auf eine nicht näher erläuterte Form eines Großdeutschen Reichs. In die Redebeiträge eingeflochten sind mutmaßlich auch Anspielungen auf die Pogromnacht und den vereitelten Hitler-Ludendorff-Putsch.

Kurzum: Bezüge zum Nationalsozialismus waren, so man sie denn sehen wollte, durch eine klare Indizienkette, wie auch bei den vergangenen Demonstrationen in Jena zum Hitler-Geburtstag und Rudolf-Heß-Gedenktag ersichtlich. Sprichwörtlich plakativ ist das „I love NS“-Poster, dass über dem Fahrersitz des Lautsprecherwagens der Thügida klebt. Und erneut wurde gestern bildlich die Demokratie als Schriftzug auf einem von Demonstrationsteilnehmern mitgeführten Sarg zu Grabe getragen.

Thüringen24 sprach mit der Verfassungsrechtlerin Barbara Bushart. Die Juristin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.

Warum erlauben die Gerichte in Gera und Weimar solche Demonstrationen – trotz all dieser Vorzeichen?

Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass die Gefahr für die öffentliche Ordnung im Vorfeld nicht klar genug ersichtlich sei und konkrete Anhaltspunkte fehlten, die ein Verbot begründen. Diese Information ist zumindest den Beschlüssen zu entnehmen.

Aber erneut hat doch der Demonstrationsablauf der Thügida gezeigt, dass sie an historisch sensiblen Daten gerne provozieren. Da müsste sich doch eine Kette an Fakten und Indizien gebildet haben, die die Gerichte nicht einfach unter den Tisch kehren können.

Grundsätzlich sollten solche Indizien schon mitberücksichtigt werden und können eine Wirkung haben. Trotzdem ist das Gericht angehalten, bei jeder neuen Demonstration auch neu und unabhängig zu entscheiden, wie man es von einem Gericht auch erwarten sollte.

Wenn die Gerichte die Demo am 9. November schon nicht verboten haben, warum mussten zum Jahrestag der Reichspogromnacht mutmaßliche Rechtsextreme mit Fackeln durch Jena laufen?

Nach Auffassung des Gerichts hatten die Fackeln keinen spezifischen Aussagegehalt. Nur weil jemand eine Fackel trägt, so deren Einschätzung, reicht das nicht aus, um davon auszugehen, dass da jemand „Reichspogromnacht feiert“. Das Gesamtgefüge und der Eindruck, den dieser Aufzug erweckte, wurden vollkommen außer Acht gelassen.

Warum sind ausgerechnet vor den Thüringer Gerichten die Fackeln in den Händen von einer bestimmten Klientel „ohne spezifischen Aussagegehalt“, während Gerichte in anderen Bundesländer in vergleichbaren Situationen schon einmal für ein Fackelverbot entschieden haben?

Ich habe den Eindruck, dass die Gerichte im Freistaat ganz besonders bemüht sind, ihrer Neutralitätspflicht nachzukommen und deswegen jeden Bestandteil der Versammlungsanmeldung ganz isoliert für sich betrachten und nicht im Gesamtgefüge der Versammlung. Dadurch wird teilweise die Botschaft, die an die Mitwelt gesendet wird, verkannt. Meiner Einschätzung nach, macht es schon einen deutlichen Unterschied, ob ich eine Fackel zu den Olympischen Spielen trage oder aber auf einer Demo am 9. November …

Die Demonstranten haben zwar das für sie an diesem Tag verbotene Wort „Pogrom“ ausgespart, sind aber mit Fackeln und Reichskriegsflaggen in den Händen durch Jena gezogen. Passt das mit einem Gedenken an den Mauerfall zwischen BRD und DDR zusammen?

Nein, meiner Meinung nach hat das Gericht das nicht ausreichend gewürdigt, dass die Bezüge zum Mauerfall schon in der Anmeldung nicht stichhaltig waren. Die Anmeldung mit Sträflingskleidung, Fackeln und Sarg sind für mich deutliche Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorliegen könnte und dass sich die Veranstaltung wohl eher auf die Pogromnacht zu beziehen scheint – Mauerfall oder Pogromnacht? Aus der Publikumsperspektive war meiner Meinung nach relativ eindeutig, worauf angespielt wurde.

Hat das OVG Weimar mit seiner Erlaubnis der Demo am 9. November richtig entschieden?

Meiner Meinung nach nicht.

Nun ist das Gericht ja nicht der einzige Verantwortliche in dieser Situation. Hatte die Versammlungsbehörde nicht mehrfach die Gelegenheit – nein, sogar die Pflicht, die Demonstration wegen ihrer wiederkehrenden NS-Bezüge aufzulösen?

Das hätte mich tatsächlich auch sehr interessiert. Ich bin der Meinung, dass es für die Versammlungsbehörde durchaus Ansätze gegeben hätte, die Versammlung aufzulösen. Ich würde überlegen, ob nicht schon in dem Moment eine Provokation in gezielter Stoßrichtung gegen das Gedenken an diesem symbolträchtigen Tag vorliegt, in dem ein wegen Holocaust-Leugnung und Volksverhetzung in Verruf geratene Redner – gemeint ist der Rechtsextremist Christian Bärthel – das Mikrofon ergreift und dort sehr krude Aussagen tätigt. Zumal dort der Bezug zum Mauerfall nicht erkennbar war. Noch belastend hinzu kommt ein aktuelles Portrait über David Köckert im Jenaer Hochschulmagazin Akrützel, wo er auf die Frage, ob er an den Holocaust glaube, antwortet: „Glauben Sie an Außerirdische?“

Liegen hier also Ihrer Meinung nach Grenzen für eine Neutralitätspflicht vor?

Die Neutralitätspflicht verlangt eine unparteiische Amtsführung, ist jedoch stets gebunden an die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik. Und diese basiert auf den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Daraus resultieren Einschränkungen im Versammlungsrecht und in der Meinungsfreiheit in der Öffentlichkeit ,die verhindern sollen, dass die Opfer der Gewaltherrschaft in ihrer Würde verletzt werden. Dies liegt vor, wenn Veranstaltungen die Herrschaft durch zum Beispiel Riten wieder heraufbeschwören. Meines Erachtens blieb dieser Aspekt bei der gerichtlichen Entscheidung unberücksichtigt. Gleiches gilt für die Entscheidung, die Versammlung gestern nicht aufzulösen.