#Justiz Leila: Die Chronik einer unfassbaren Misshandlung
Für die meisten Kinder sind Sommerferien herrlich. Für die neunjährige Leila wurden sie bei Oma und Tante zu Wochen des Grauens – am Ende war das Mädchen tot. Im Juni könnte das Urteil gesprochen werden.
Der Sommer bei Oma und Tante müssen für die neunjährige Leila im Jahr 2014 ein unbegreifliches Martyrium gewesen sein. Er endete mit dem gewaltsamen Tod des Mädchens. Im Prozess vor dem Landgericht Gera berichten Zeugen, dass Leilas Körper mit blauen Flecken übersät gewesen sei. Die Obduktion ergab Hinweise auf sexuellen Missbrauch, Rippenbrüche und einen gravierenden Riss der Bauspeicheldrüse. Zu dritt haben Rechtsmediziner Leilas Leiche untersucht und rund 170 Verletzungen gezählt. Ihrem Gutachten zufolge ist das Mädchen aus Bayern innerlich verblutet. Seit genau einem Jahr arbeitet die 4. Strafkammer Leilas qualvollen Tod auf. Nun scheint ein Urteil in greifbarer Nähe.
Hauptangeklagter ist der Lebensgefährte von Leilas Tante. Dem heute 25-Jährigen wird Totschlag vorgeworfen. In jener verhängnisvollen Nacht zum 4. September 2014 soll er dem Mädchen so massiv in den Bauch getreten haben, dass dessen Bauchspeicheldrüse riss. Erst am nächsten Morgen wurde ein Arzt gerufen – doch da kam schon jede Hilfe zu spät. Zudem soll der Mann das Kind in den Wochen zuvor mindestens drei Mal sexuell missbraucht haben.
Leila wurde nicht geholfen
Die Anklage stützt sich neben den Erkenntnissen aus der Obduktion auf DNA-Spuren, die in der Unterwäsche gefunden wurden. Mitangeklagt sind Leilas Oma und Tante. Das Mädchen aus Rothenburg ob der Tauber war ihnen während der Sommerferien anvertraut. Sie sollen Leila nicht geholfen haben.
Leilas Großmutter habe ihr am Morgen des Todestages noch versichert, dass mit dem Mädchen alles in Ordnung sei, sagte Leilas Mutter vor rund einem Jahr vor Gericht. Die 30-Jährige brach während der Vernehmung immer wieder in Tränen aus. Sie berichtete auch von einem Krankenhaus-Aufenthalt ihrer Tochter während eines Besuchs bei den Großeltern im Sommer 2013. Ärzte stellten nach ihren Angaben einen ungewöhnlichen Armbruch fest und hätten ein psychologisches Gutachten empfohlen. Die Großmutter habe dies abgelehnt, sagte Leilas Mutter. Die Verwandten hätten gesagt, Leila sei von der Schaukel gefallen.
Der Prozess gestaltete sich lange als aufwendiges Puzzle – auch die mitangeklagte Tante und Leilas dementer Urgroßvater kamen theoretisch für den tödlichen Tritt infrage. Außerdem kamen zuvor noch unbekannte Vernehmungsakten ans Licht.
Alle drei Angeklagten hüllten sich vor Gericht lange in Schweigen. Bis Anfang März. Nach neun Monaten Prozessdauer legte zumindest der Hauptangeklagte über seinen Anwalt ein Teilgeständnis ab. Darin räumte er ein, dem Mädchen „unüberlegt“ einen heftigen Tritt versetzt zu haben, weil er seine Ruhe vor ihr haben wollte. Sexuelle Übergriffe bestritt er aber vehement: „Der Vorwurf ist schlichtweg falsch. Ich habe so etwas nicht getan.“ Er habe vor der tragischen Nacht zudem reichlich Alkohol getrunken.
Leilas Tod ein unbeabsichtigter Unfall im Alkoholrausch? Experten haben starke Zweifel an dieser Version. Die tödlichen Verletzungen seien nicht plausibel mit der Schilderung des Mannes in Einklang zu bringen, konstatierte eine Rechtsmedizinerin. Bei einem Tritt nach hinten und aus dem Liegen könne wohl kaum so viel Kraft aufgebracht werden, um eine derart massive Verletzung zu verursachen. Auch sprächen Verletzungen auf gleicher Höhe am Rücken dafür, dass Leila nicht frei gestanden hat, als auf sie eingetreten wurde.
Eine Psychologin bescheinigte dem 25-Jährigen neben einer niedrigen Intelligenz auch eine Neigung zu Impulsivität und emotionaler Instabilität. Zwar sei er zum Tatzeitpunkt betrunken gewesen – nach Berechnungen könnte sein Pegel bei knapp zwei Promille gelegen haben – und sei seine Hemmschwelle dadurch verringert gewesen, erklärte eine Gutachterin. Sie attestierte ihm dennoch volle Schuldfähigkeit.
DNA-Spuren an Kleidungsstücken von Leila
Nach 46 Verhandlungstagen könnte der Prozess sich nun seinem Ende nähern. „Wir wären so weit, die Beweisaufnahme zu schließen“, hatte der Vorsitzende Richter Gerhard Rassier in der jüngsten Sitzung vor gut einer Woche gesagt. Dass Staatsanwalt Jens Wörmann nicht schon damals sein Plädoyer gehalten hat, lag an einem weiteren Antrag, den einer der Verteidiger in Aussicht stellte. Zum nächsten Verhandlungstermin an diesem Samstag ist laut Gericht nun noch einmal eine Expertin zu Fragen der DNA-Spuren in diversen Kleidungsstücken geladen. Insgesamt sind derzeit noch fünf Termine bis zum 9. Juni vorgesehen.
Ob mit einem Urteil die juristische Aufarbeitung von Leilas Tod tatsächlich endet, ist ungewiss. Knackpunkt ist der Umgang mit Aussagen der angeklagten Frauen, als sie von den Ermittlern noch als Zeugen und nicht als Beschuldigte vernommen wurden. Dazu SMS-Nachrichten von zunächst freiwillig der Polizei ausgehändigten Handys. Die Verteidiger lehnen die Verwendung dieser Daten ab, weil die Betroffenen aus ihrer Sicht nicht korrekt belehrt wurden. Deswegen könnte der Richterspruch letztlich in die Revision gehen.