Erfurt hat sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsstandort in Thüringen entwickelt. Kein Wunder: Mit der zentralen Lage in Deutschland ist die Stadt ein attraktiver Dreh- und Angelpunkt für Unternehmen. Auch das große Logistikzentrum von Amazon im Norden der Stadt sollte eine Erfolgsgeschichte werden.
Der Konzern versprach 2024 Lohnerhöhungen für die Angestellten sowie Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen vor Ort – diese Versprechen konnte der Erfurter Amazon-Standort auch halten. So weit, so gut. Eine Gewerkschaft kritisiert den Konzern dennoch.
Amazon in Erfurt: Gewerkschaft kritisiert den Konzern
Als Amazon sein Erfurter Logistikzentrum eröffnete, ließ der Konzern mit seinen großzügigen Ankündigungen nicht nur die Beschäftigten hellhörig werden: Damals sollten die Einstiegsgehälter ab September 2024 erhöht werden (wir berichteten). Für ungelernte Kräfte sollte es demnach einen Lohn von 15,20 Euro pro Stunde geben, der später auf 15,80 Euro steigen sollte – Fachkräfte konnten sich sogar über 21 Euro freuen. Darüber hinaus gab es Spendenaktionen für lokale Vereine, was das Image des Unternehmens zusätzlich stärkte. Doch es gibt trotzdem einen Haken.
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Laut einem Bericht des MDR bleiben die Amazon-Beschäftigten in Erfurt nämlich weiterhin ohne einen Flächentarifvertrag. Zwar betonte Standortleiterin Silvana Specht, dass die Löhne regelmäßig angehoben werden – doch aus Sicht der Gewerkschaft Ver.di reicht das nicht aus. Sie bemängelt die fehlenden Standards und die langfristige Sicherheit für die rund 2.000 Beschäftigten am Erfurter Standort. Der thüringische Standort ist aber offenbar keine Ausnahme: Im Rahmen der Amazon-Unternehmensanalyse 2025 durch Ver.di kritisiert die Gewerkschaft sogar eine regelrechte „Tarifverweigerung“ des Konzerns.
Ver.di mit drastischen Vorwürfen
Thüringens Wirtschaftsministerin Colette Boos-John äußerte sich während eines Besuchs vor Ort dagegen zufrieden mit den Löhnen. Sie halte die 15,80 pro Stunde für ungelernte Kräfte für einen ordentlichen Lohn, erklärte sie gegenüber dem Sender. Dennoch bleibt die Kritik der Arbeitnehmervertretung bestehen: Auf Nachfrage von Thüringen24 heißt es seitens Ver.di: „Amazon hat auf unserem Druck und in den letzten Jahren auch auf den Mangel an Arbeitskräften reagiert und sich dem Tarifniveau des Versandhandels angenähert.“
Doch die Gewerkschaft macht sofort klar: „Weiterhin bestehen wir als Gewerkschaft auf einem Tarifvertrag für die Beschäftigten, da er Verlässlichkeit und soziale Sicherheit schafft.“ Denn ein solcher Vertrag regelt nicht nur den Lohn, sondern eben auch die Arbeitsbedingungen sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz. Und genau das scheint der wunde Punkt zu sein. „Mein Eindruck ist, dass Amazon grundsätzlich ein gewerkschaftsfeindlicher Konzern ist, der nicht bereit ist, Kontrolle über die Arbeitsbedingungen zu teilen, um bei Bedarf hart durchzugreifen“, so Matthias Adorf von Ver.di Thüringen.
Der Gewerkschafter wird sogar noch drastischer: „Nachdem sie im Konzern etwa verstanden haben, dass Sie im deutschen Gesetzesrahmen Betriebsräte nicht mehr verhindern können, ist die neuere Strategie, diese Betriebsräte unter Kontrolle zu bringen. So werden in neueren Standorten früh Betriebsratswahlen ‚von oben‘ angestoßen und dort Führungskräfte platziert, denen man klarmacht, dass es eine Zusammenarbeit mit ver.di nicht zu geben hat.“
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Demnach gibt es am Erfurter Amazon-Standort zwei Seiten der Medaille. Zum einen hält Standortleitung Silvana Specht die Löhne für angemessen, zum anderen kritisiert die Gewerkschaft, den fehlenden Tarifvertrag. Fest steht dennoch: Als international tätiges Unternehmen ist Amazon ein bedeutender Arbeitgeber in der Region – ob sich hier perspektivisch ein Tarifsystem durchsetzen wird, bleibt allerdings noch unklar.
Amazon bezieht klar Stellung
Thüringen24 hat Amazon mit der Kritik konfrontiert. Von einem Konzern-Sprecher heißt es: „Amazon respektiert und achtet alle geltenden Rechte der Gewerkschaft. Jedoch sind für uns die Betriebsräte die wichtigsten Ansprechpartner:innen. Wir haben an allen etablierten Logistikzentren seit über 20 Jahren gewählte Betriebsräte, mit denen wir vertrauensvoll zusammenarbeiten. Betriebsratswahlen stehen wir an allen Standorten offen gegenüber. Auch am Standort Erfurt gibt es seit März 2025 einen Betriebsrat.“
Dort habe man die gleichen Themen wie ver.di, wenn auch manchmal andere Perspektiven. „Wir sind überzeugt, dass ein direkter Dialog zwischen Mitarbeitenden, Führungskräften und Betriebsräten der beste Weg ist, um die Interessen unserer Belegschaft zu vertreten und kontinuierliche Verbesserungen umzusetzen. Dieser Ansatz hat sich in den vergangenen Jahren bewährt und zu zahlreichen positiven Entwicklungen für unsere Mitarbeitenden geführt“, so der Amazon-Sprecher weiter zu Thüringen24.

