Erfurt.
Das Gedankenspiel ist ein Alptraum, doch die Behörden wollen darauf vorbereitet sein: Täter schießen auf Reisende und zünden Sprengsätze – am Hauptbahnhof in Erfurt, mitten in der Stadt.
Große Anti-Terror-Übung der Polizei am Hauptbahnhof Erfurt – die Fotos:
Deshalb hat die Bundespolizei mit einer großangelegten Anti-Terror-Übung in der Nacht zum Mittwoch den Ausnahmezustand in Erfurt geprobt. Mehr als 1000 Einsatzkräfte beteiligten sich – Polizisten, Sanitäter, Bahnmitarbeiter rückten zum Hauptbahnhof an.
Schüsse und Explosionen am Hauptbahnhof in Erfurt
Es war eine der größten derartigen Übungen in Deutschland in den vergangenen Jahren. Mancher Polizist kam dabei an seine Belastungsgrenze.
Tatsächlich vergessen viele der Polizisten schnell, dass sie in diesen Stunden an einer Anti-Terror-Übung teilnehmen. Nicht nur die Geräusche der Schüsse und Explosionen, sondern auch die Verletzungen, die den Statisten des Trainings vor Beginn der Übung geschminkt worden sind, wirken so furchteinflößend, dass für viele der Übenden die Grenzen zwischen Rollenspiel und Realität verwischen.
Polizisten nass vor Schweiß – Psychologen betreuen Einsatzkräfte
Als Beamte die Statisten mit ihren Verletzungen zum medizinischen Sammelpunkt ziehen, sind nicht wenige von ihnen nass vom Schweiß, mit Schrecken im Gesicht. Für diejenigen, die mit dieser Belastung alleine nicht fertig werden, hat die Polizeiführung Psychologen mitgebracht. Sie üben in dieser Nacht nicht. Für sie ist die Betreuung der übenden Polizisten eine ganz reale Aufgabe.
Insgesamt waren an dieser Übung nach Polizeiangaben mehr als 1000 Beamte der Bundes- und der Landespolizei, dazu noch Feuerwehrleute, Notärzte und andere medizinische Retter beteiligt.
Die Übung am Hauptbahnhof in Erfurt habe absichtlich in der Öffentlichkeit stattgefunden, damit die Menschen sehen, dass sich die Polizei professionell auf solche Szenarien vorbereite, sagte Jörg Baumbach, Leiter der Bundespolizeidirektion Pirna am Dienstagabend. Vor allem Streifenpolizisten würden bei solchen Übungen trainieren, vom „Streifenmodus“ zum Kampf gegen Terroristen umzuschalten.
Vorbereitung auf den Terror: Dimension in Erfurt übertrifft Übung in Leipzig
Die Szenarien, vor die Polizisten und Rettungskräfte bei dieser Übung gestellt werden, gehen davon aus, dass Terroristen mit Sprengstoff und Schusswaffen einen Anschlag auf den Bahnhof verüben und es dabei zahlreiche Tote und Verletzte gibt. Geprägt worden, heißt es von der Polizei, seien die Übungen von realen Terroranschlägen aus der Vergangenheit wie etwa in Paris im November 2015. Damals waren mehr als 100 Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt worden, als islamistische Terroristen an mehreren Punkten angriffen.
Es ist die erste derartige Übung für die Polizei Thüringen, sagte der Übungsleiter der Bundespolizei, Sven Jahn. Für die Bundespolizei sei es die neunte, an Großstadtbahnhöfen und Flughäfen gebe es eine fortlaufende Serie von Anti-Terror-Übungen – in Mitteldeutschland zuletzt 2017 in Leipzig. Die Dimension des Einsatzes in der sächsischen Messestadt sei in Erfurt aber noch einmal übertroffen worden, hieß es.
„Die Sicherheitsbehörden gehen immer noch von einer hohen abstrakten Gefährdung in Deutschland aus“, wie Michael Oettel von der Bundespolizeiinspektion Erfurt im Vorfeld sagte.
Polizei übt Taktik hinter der Absperrung am Hauptbahnhof in Erfurt
Der Bahnverkehr sollte nach Angaben der Deutschen Bahn trotz der Übung normal weiter laufen. Es konnte lediglich zu Gleisverlegungen kommen. Hauptschauplatz für die Übung war der Einkaufsbereich des Erfurter Hauptbahnhofs, der abgesperrt wurde.
Auch der Tunnel, in dem sich die Straßenbahnhaltestellen befinden, wurde gesperrt und Sichtschutzzäune wurden dort aufgebaut. „Wir üben taktische Vorgehensweisen, die nicht jeder sehen soll“, sagte Oettel.
Sperrungen am Erfurter Hauptbahnhof vom Abend an
Die Übung hatte gegen 23 Uhr am Hauptbahnhof begonnen und dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Die ersten Absperrungen gab es am Dienstag aber schon ab 20 Uhr. Nach Angaben der Stadtwerke Erfurt wurden einige Haltestellen für Bus und Straßenbahn während der Übung nicht angefahren. Außerdem gab es Schienenersatzverkehr für Straßenbahnen.
Schüsse und Sprengungen am Erfurter Hauptbahnhof
Drei unterschiedliche Szenarien wurden in der Nacht durchgespielt werden. Die Ausgangslage war aber immer die Gleiche: Täter sind extrem gefährlich und wollen Menschen töten. „Man orientiert sich bei solchen Übungen immer auch an Szenarien, die tatsächlich stattgefunden haben“, sagte Oettel.
Bei der Übung schießen die Täter mit Platzpatronen, auch die Sprengattrappen machen laut Oettel Krach. Für die drei Szenarien war unterschiedliches taktisches Handeln gefragt.
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Mehr als 1000 Menschen an Anti-Terror-Übung in Erfurt beteiligt
Rund 800 Polizisten der Bundespolizei und der Landespolizei beteiligten sich an der Übung. „Die Streifenpolizisten sind diejenigen, die in solchen Situationen normalerweise als erste vor Ort sind und die ersten Maßnahmen ergreifen“, sagte Oettel. Rund 250 Polizeischüler übernahmen Statistenrollen und spielten Reisende am Bahnhof. Speziell geschulte Polizisten übernahmen die Rollen der Täter.
Auch gespielte Verletzte gab es. Oettel zufolge stellten Sanitätssoldaten der Bundeswehr verschiedene Verletzungsbilder nach. Etwa 350 Rettungskräfte beteiligten sich an der Übung, wie eine Sprecherin des Amtes für Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz sagte. „Unsere Leute müssen dann erkennen, wer leicht, schwer oder lebensbedrohlich verletzt ist, und entscheiden, wer zuerst behandelt oder in eine Klinik gebracht wird“, sagte die Sprecherin.
Sicherheitsbehörden proben die Absprache im Ernstfall
Oettel sagte, dass es bei der Übung auch darum gehe, wie die Behörden im Ernstfall zusammenarbeiten. „Wir haben schon bei den Vorbereitungen gemerkt, dass man besser wird, wenn man sich austauscht“, sagte Oettel. Während die Übung lief, sollten Schiedsrichter alles genau beobachten und bewerten. „Wir haben auch Dokumentationsteams vor Ort, die ein Video anfertigen“, sagte Oettel.
Nach der Anti-Terror-Übung am Hauptbahnhof in Erfurt zeigten sich die Sicherheitsbehörden zufrieden. Trotzdem zeigten sich bei solchen Gelegenheiten immer wieder Details, die noch verbessert werden könnten – etwa in der Kommunikation zwischen Bundes- und Landespolizei, aber auch zwischen der Polizei und Feuerwehr und anderen Rettern. Ähnlich äußerte sich auch der Präsident der Landespolizeidirektion Thüringen, Frank-Michael Schwarz. «Alles was wir geübt haben, können wir im Ernstfall besser machen», sagte er.