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Raúl Krauthausen: Der Rollstuhl bedeutet Freiheit

Raúl Krauthausen: Der Rollstuhl bedeutet Freiheit

Raúl Krauthausen
Raúl Krauthausen wirbt für Inklusion Foto: Axel Heyder
  • Aktivist Raúl Krauthausen berichtet in Erfurt über seine Erfahrungen als Mensch mit Behinderung
  • Mann im Rollstuhl wirbt für eine inklusive Bildung
  • Deutsche Soccerliga veranstaltet Tag voller Workshops

Behindert sind wird alle. Irgendwie, irgendwo. Also warum ein Aufheben darum machen? Die, die sich selbst für nicht behindert halten, oft da, wo sie auf Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen treffen. Sie sind behindert, weil sie nicht wissen, wie sich richtig verhalten sollen. Sie behindern sich selbst darin, weil sie zuerst eine Diagnose und dann erst den Menschen wahrnehmen. „Kinder hören früh von den Eltern ,schau da nicht so hin‘ oder ,zeig nicht mit dem Finger dorthin‘ und werden dafür bestraft“, sagt Aktivist Raúl Krauthausen, das erlebe er täglich. „Und dann machen sie genau das. Sie schauen nicht mehr hin.“ Krauthausen ist ein Redner, der begeistern kann. Am Donnerstag war er in Erfurt zu Gast bei einem Fachsymposium des Bildungsträgers Deutsche Soccerliga e.V. zum Thema Inklusion.

Kein gutes Klima

„Nicht ob, sondern wie“ hieß die Überschrift für den Tag voller Workshops. Der 37-Jährige berichtete nicht als Pädagoge über Inklusion, sondern als ehemaliger Schüler. Und zwar so, dass man mindestens bei jedem zweiten Satz schmunzeln möchte. „Wir haben auch gemobbt, die drei Veganer in der Klasse. Ich war unter denen, die gemobbt haben“, erzählt er. „Aber für Veganer fordert man keine eigenen Schulen.“ Es ist unterhaltsam und doch vermittelt er die Ernsthaftigkeit des Problems. „Wenn sie Menschen zusammen stecken, die eine Behinderungen haben, dann übernehmen sie irgendwann gegenseitig ihre Macken. Das ist kein gutes Klima.“ Und er führt weiter aus: „Wenn alle in einer Klasse nicht lesen, lernen sie es auch nicht. Es geht darum, Grenzen zu verschieben.“ Es sei doch deutlich besser für alle, Menschen beim Erreichen von Zielen zuzuschauen, nicht beim Scheitern. „Wissen Sie, wie viele Kinder mit Behinderung wir in Deutschland haben? Gerade so viel, dass auf jede Schule ein bis zwei kommen würden. Es lohnt die Debatte nicht einmal“, ist der Aktivist überzeugt.

Inklusion ist Thema in Erfurt – Fotos vom Symposium der Soccerliga:

Jungs- und Mädchenschulen

Der Ansatz der Inklusion geht davon aus, dass alle anders sind. Wenn heute ein Lehrer bei der Bestückung seiner Klasse ein Kind mit Down-Syndrom ablehnt, sei das nicht sinnvoll. Und Krauthausen begründet warum: „In früheren Zeiten wurde den Menschen auch gesagt, Jungs und Mädchen können nicht zusammen lernen. Wenn Mädchen in der Klasse sind, lernen Jungs langsamer. Deswegen gab es Jungs- und Mädchenschulen.“ Diese Trennung sei heute längst überwunden, die von Kindern mit Behinderungen nicht. Sie gerieten auf Sonderschulen und damit in eine Schonraumfalle, dabei sei der Mensch ein soziales Wesen. Sie bewegen sich dort weg von der Gesellschaft und die Gesellschaft sich von ihnen.

Zappel-Philipp und stille Lise

„Die Sonderschulen sind deshalb vor allem so voll, weil sich eine leere Schule eben nicht rechnet“, ist der Aktivist überzeugt. In den 60er-Jahren gab es in jeder Klasse den Zappel-Philipp und die stille Lise. Heute haben die ADHS und Autismus und werden aus der Klasse genommen. Die Kinder selbst hätten die geringsten Probleme mit Mitschülern, die eine Behinderung haben. Und Lehrer fühlten sich vor allem deswegen überfordert, weil sie über die Jahrzehnte hinweg insgesamt immer mehr machen müssten, generell immer mehr Arbeit leisten.

Nicht gefesselt, sondern frei

Wer dem wortgewandten Aktivisten für die Rechte von Menschen mit Behinderung zuhört, weiß, wie ernst es ihm trotz aller witzigen Beispiele ist. Aber die Beispiele sind das Salz in der Suppe, das zum Zuhören zwingt und das Weghören unmöglich macht. „Es fängt bei der Sprache an“, sagt er. „Wissen sie, wie oft ich schon gehört und gelesen habe, ich sei an einen Rollstuhl gefesselt? Genau das Gegenteil ist der Fall. Der Rollstuhl ermöglicht mir Teilhabe, ich bin beweglich. Er bedeutet Freiheit. Also wenn sie das nächste mal einen Menschen sehen, der an einen Rollstuhl gefesselt ist, binden sie ihn los und holen die Polizei.“

Mangelnde Kontakte

Vorurteile rührten aus mangelnden Kontakten her. Man kenne das aus anderen Bereichen. Rassistische Vorurteile treten besonders dort auf, wo die Menschen mit dem Fremden noch gar nichts zu tun hatten. „Kinder haben ein viel besseres Gerechtigkeitsempfinden als wir Erwachsenen.“ Auch die Menschen mit körperlichen Einschränkungen nähmen mit den Jahren Dinge hin, statt sie zu hinterfragen.

Nur ein bis zwei Stufen

„Die meisten Orte in der Öffentlichkeit sind nicht rollstuhlgerecht, wegen ein oder zwei Stufen. Das ist keine Raketenwissenschaft. Es ist eben ein Unterschied, ob jemand behindert ist oder behindert wird.“ Man müsse dieses Denken in einem Gesund-Krank-Schema überwinden. Die Inklusion sei erst dann erreicht, wenn auch Lehrer oder Minister eine Behinderung haben dürften. „Behinderte sind ja nicht plötzlich aus Erdlöchern aufgetaucht und wollen die Weltherrschaft an sich reißen.“

Mehr zum Thema: die-andersmacher.org; leidmedien.de

Zur Person: Raúl Aguayo-Krauthausen, geboren 15. Juli 1980 in Lima. Seit Oktober 2015 moderiert Krauthausen die Talkshow Krauthausen, Face to Face auf Sport 1.