Das Sprachcafé Erfurt feiert Geburtstag– Wie ein Team aus Fremden Freunde macht
Treffpunkt für Menschen aller Länder feiert Jubiläum
Zwei Jahre Engagement: Sprachcafé im Wandel
Geburtstagsparty im Klanggerüst – Zuckerfest im WirGarten
Plaudern, Lernen und Kennenlernen: Zwei Jahre schon treffen sich Deutsche, Geflüchtete, internationale Studierende und jeder, der mehr über die Welt erfahren will, im Sprachcafé an der Fachhochschule Erfurt. Am Freitag feiert das Team im Erfurter Klanggerüst ganz offiziell Geburtstag, am darauffolgenden Montag lädt das Projekt zum Zuckerfest in den WirGarten. Im Gespräch mit Thüringen24 blickt das Sprachcafé zurück auf eine ereignisreiche Zeit.
Ort der Begegnung und Freundschaft
Ein Platz in Erfurt, an dem sich Menschen jeder Herkunft ungezwungen begegnen können – das war der Wunsch, der am Anfang des Sprachcafés stand. Denn genau so einen gab es 2015 in der Landeshauptstadt noch nicht, erklärt Amelie, Gründungsmitglied und Teil des etwa 15-köpfigen Orgateams des Sprachcafés. So war auch schon die Idee geboren, selbst einen Ort zu schaffen, an dem man sich kennenlernt „bei entspannter und offener Atmosphäre“, betont Susanne, ebenfalls Initiatorin des Projektes und damalige Studentin internationaler sozialer Arbeit. Damals war es noch eine bescheidene Vorstellung, heute ist das Sprachcafé eine feste Instanz.
Der Montags-Treff und weitere Angebote
Aufmerksam machten sie die ersten Besucher des Sprachcafés in Gemeinschaftsunterkünften mit einer Einladung vor zwei Jahren. „Ganz anfängermäßig haben wir zu Ramadan ein Grillfest organisiert, am Ende waren die einzigen die essen konnten wir“, erinnert sich das Team und lacht.
Aber seither treffen sich jeden Montag – auch in den Semesterferien – Interessierte im Café Aqua der Fachhochschule Erfurt, um sich miteinander auszutauschen. Mittwochs gibt es ein separates Angebot speziell für geflüchtete Frauen, die können dann ihre Kinder mitbringen. Zeichenkurse, Bewerbertraining, Vorträge, Ausflüge, und und und – Ideen gehen ihnen scheinbar nicht aus.
Der Fokus verändert sich
Im Laufe der letzten zwei Jahre hat sich das Sprachcafé gewandelt. Anfangs beschäftigten sich die Initiatoren und Teilnehmer vor allem mit dem Thema Unterbringung und Unterkunft. Dazu besuchten sie auch außerhalb des Montags Turnhallen und Notunterkünfte in Thüringen, wie Susanne erzählt. Dann stand die Sprache im Fokus „Wir haben sehr viel Nachhilfe angeboten, Deutschmaterialien organisiert und die ersten Sätze miteinander gelernt. Mittlerweile sprechen wir alle eine ziemlich ‚gemeinsame‘ Sprache“, erklärt die 26-Jährige Sozialarbeiterin.
Amelie ergänzt: „Wir haben auch schon Info-Veranstaltungen organisiert zu Themen wie: Was muss ich tun, wenn mein Asylantrag abgelehnt wurde, aber auch wir selbst haben Workshops besucht und uns fortgebildet.“
Initiative finanziert durch Förder- und Preisgelder
Für jedes Projekt beantragt das Sprachcafé-Team aufs Neue Fördergelder, etwa bei der Thüringer Migrationsbeauftragten oder dem Lokalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus. Die Fachhochschule unterstütze sie darüber hinaus. Im vergangenen Jahr gewann die Initiative bei einer Auszeichnung Fördergelder der Ehrenamtsstiftung. Das Preisgeld investierte sie prompt in einen Schwimmkurs.
Aktuell ist das Thema Ausbildung und Beruf ganz groß. „Wie geht es mit mir weiter? Was habe ich für Möglichkeiten. Viele sind mit ihren Sprachkursen fertig“ und damit startklar für das Berufs- oder Studentenleben. „Es ist schön, Menschen über so eine lange Zeit zu begleiten und kennenzulernen“, sagt Amelie, die in Erfurt Förderpädagogik studiert. Aus der Hilfe und Unterstützung haben sich inzwischen echte Freundschaften entwickelt, da sind sich alle einig.
Wie das Sprachcafé Rassismus erlebt
Shah war ursprünglich Teilnehmer des Sprachcafés, seit anderthalb Jahren packt er selbst mit an. Eigentlich studiert er Tiefbaumanagement an der FH in Erfurt. Ursprünglich kommt er aus Afghanistan. Er gibt auch zu: „Anfangs wollte ich nicht nach Erfurt. Ich hatte Angst. Auch vor dem Studium, was dort auf mich zukommen wird. Aber als ich die Menschen hier getroffen habe – Amelie und Susanne – da wusste ich: hier will ich bleiben. Sherdin erzählt, dass er von seinen Landsleuten viel über Rassismus in Deutschland gehört habe und gibt zu: „Ich war überrascht, wie nett alle hier sind.“
Amelie erzählt aber auch von einem Vorfall, als einem Sprachcafé-Teilnehmer in der Bahn gesagt wurde, er dürfe sich erst setzen, sobald alle Deutschen einen Sitzplatz haben. Auch einen rassistisch-motivierten Übergriff auf eine Familie habe es gegeben.
„Man kann es nicht verleugnen, dass es so etwas gibt, aber in unserer Wahrnehmung ist es gar nicht so extrem. Da hat sich auch einiges im Laufe der Zeit geändert“, stimmt Susanne wieder positiv. „Wenn man es hinkriegt seinen eigenen Schweinehund zu überwinden, dann merkt man, wir haben mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede“, davon sind Amelie und Susanne überzeugt.
Multikultur aus zwölf Nationen
Syrer, Afghanen, Spanier, Eritreer, Kosovaren – über zwölf verschiedene Nationen treffen im Sprachcafé wöchentlich aufeinander. „Wir haben sogar einen Engländer“, sagt Amelie. Davon profitiert das Projekt. „Es ist schließlich nicht so, dass wir Deutsche überlegen, was jetzt im Sprachcafé passiert. Das ergibt sich vor allem aus den mitgebrachten Ideen und Erfahrungen aller“, so Susanne. Denn das Orga-Team ist genauso durchgemischt wie die Teilnehmer, von Berufstätigen, Studenten, Geflüchteten und Einheimischen.
„Das Sprachcafé ist ein Multi-Kulti-Ort, aber deswegen gibt es hier keine Probleme“, meint der 28-jährige Shah. Susanne ergänzt: „Die meisten glauben ein Syrer und ein Afghane, die können sich gar nicht verstehen. Aber man sieht: Hier funktioniert es.“
Der Blick auf die Welt und auf sich selbst
„Erfurt ist für mich mit dem Sprachcafé noch größer geworden. Wir lernen hier viel über die Welt, über andere Länder, und zusätzlich über uns selbst“, freut sich Amelie. Susanne stimmt zu: „Viele Themen, die man für selbstverständlich hält, vieles wie wir unser alltägliches Leben gestalten, das funktioniert anderswo ganz anders“.
So etwa das Thema Geburtstag. Amelie erklärt: „In vielen Herkunftsländer unserer Teilnehmer, ist es nicht üblich Geburtstag zu feiern“, in den meisten Ausweisen steht nur das Geburtsjahr, wenn überhaupt ein Ausweis vorliegt. „In Dörfern werden die meisten Kinder im Haus geboren, da ist der Tag in der Regel nicht nachzuweisen“, erläutert die 24-Jährige.
Flüchtlingspolitik plötzlich ganz nah
Die Regierung hat für solche Fälle und für Geflüchtete, die ohne Ausweis oder Begleitung ins Land kamen, den 1. Januar als General-Geburtstag eingeführt. Diese Entscheidung genoss im Vergleich zu anderen der Flüchtlingspolitik weniger öffentliches Interesse. Das Thema Abschiebungen ist wesentlich umstrittener. Dem Sprachcafé-Team liegt es am Herzen, sich gerade dort politisch in der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Zurzeit sieht man die Gruppe schon häufiger in Erfurt zu Demonstrationen und Kundgebungen. Zu jeder Sammelabschiebung nach Afghanistan beispielweise, treffen sie sich in der Stadt. In Thüringen hat sich Rot-Rot-Grün zwar mit einem zeitigen Abschiebe-Stopp durchgesetzt, „doch sobald es Gesetzesänderungen gibt, dann betrifft es auch unsere Freunde und somit auch uns unmittelbar selbst“, meint Susanne und erzählt von Familien im Sprachcafé, die am nächsten Tag einfach nicht mehr kamen, weil sie abgeschoben wurden. „Das bricht natürlich Herzen auf allen Seiten.“ Für die Zukunft wünscht sich Susanne eine klare Haltung der Regierung gegen Abschiebung und, dass diese auch angesichts der anstehenden Bundestagswahlen bestehen bleibt.
Kommende Veranstaltungen des Sprachcafés:
Jeden Montag ab 18 Uhr – auch in den Semesterferien – treffen sich Teilnehmer und Organisatoren im Café Aqua der FH Erfurt in der Altonaer Straße