In Erfurt wurde Martin Luther geprägt: Hier studierte er, wurde Mönch und zum Priester geweiht. Im Evangelischen Augustinerkloster können Gläubige und Touristen heute auf originalen Pfaden den Spuren des Reformators folgen.
Über die weiß-roten Bodenfliesen im Kapitelsaal des Evangelischen Augustinerklosters zu Erfurt ist schon der katholische Mönch Martin Luther (1483-1546) gegangen. „Der Raum mit seiner dicken Säule in der Mitte und dem Gewölbe war vor 500 Jahren der einzige Raum, in dem Mönche das Schweigegelübde brechen und reden durften“, sagt Pfarrerin Irene Mildenberger. „Er ist neben dem steinernen Altartisch in der Augustinerkirche, wo Luther aufgeregt seine erste Messe gelesen hat, eines der wenigen original erhaltenen Zeugnisse seines Klosteraufenthaltes.“ Heute finden im heizbaren Kapitelsaal im Winter Gottesdienste statt.
Bildergalerie Wo Luther einst als Mönch wandelte
Im September 2011 standen Kloster, Kapitelsaal und Kirche weltweit im Focus: Papst Benedikt XVI. besuchte auf Einladung der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands als erster Papst und Bischof von Rom den Ort, in dem Martin Luther gelebt und gewirkt hat. Im Kloster der Augustiner-Eremiten hatte dieser während seines Aufenthaltes vom Juli 1505 bis zum Herbst 1511 im Bibel-Studium nach einem gnädigen Gott gesucht.
Luthers prägendste Lebensjahre
Luther selbst nannte die Zeit später seine prägendsten Lebensjahre. Dort wurde der Keim zur späteren Spaltung der katholischen Kirche gelegt, die von Luther nie beabsichtigt war. Ob es die Reformation ohne diesen entscheidenden Erfurter Abschnitt so oder überhaupt gegeben hätte, bleibt eines der geschichtlichen Geheimnisse.
Warum sich der Student Luther für das Augustinerkloster entschied, ist nicht bekannt. „Luther selbst hat sich nie dazu geäußert, es gibt nur Vermutungen, zumal es mehrere andere Bettelorden in Erfurt gab“, erzählt Mildenberger an der Pforte, durch die Luther am 2. Juli 1505 ins Kloster eintrat. „Vielleicht war es, weil die Augustiner-Eremiten gerade in einer Reformbewegung waren. Vielleicht wollte Luther auch zurück zu den Ursprüngen und den strengeren Regeln“, sagte die Theologin, die seit viereinhalb Jahren Pfarrerin in Erfurt ist und zuvor im Liturgischen Institut an der Universität Leipzig gearbeitet hat.
Luther-Gedenkstätte von nationaler Bedeutung
Das 1277 erbaute Kloster im alten Erfurter Stadtzentrum ist heute Luther-Gedenkstätte von nationaler Bedeutung und Tagungszentrum – und seit 1525 im Besitz der evangelischen Kirche. „Bildung und Soziales standen über die Jahrhunderte immer im Mittelpunkt“, meint Mildenberger beim Rundgang durch das Klosterareal. Mit Klostermauer, Gotteshaus, Klostergebäude, Kreuzgang und Gästehaus, in dem auch Luther in den ersten Tagen als Postulant lebte, bekommen Besucher heute einen Eindruck, wie Klöster damals funktionierten. Wiederaufgebaut wurden die im Zweiten Weltkrieg durch englische Luftminen zerstörte Bibliothek und zwei Waidhäuser.
Etwa 70 Mönche lebten zur Blütezeit im Kloster und schliefen gemeinsam im großen Schlafsaal. Heute ist dort die kostbare Bibliothek mit Lutherbibeln und Luther-Briefen sowie ein kleines Museum untergebracht. Die Mönchszellen Luthers gibt es nicht mehr. Sie wurden bei einem Feuer zerstört. „Wir wissen aber, wo Luther nach seinem ersten Rom-Besuch seine Zelle zum Meditieren und Bibel-Studium hatte.“ Sie wurde mit einem Lesepult nachempfunden.
Besonderer Ort der Reformation
Schön früh sei das Augustinerkloster als ein besonderer Ort der Reformation empfunden worden, betont Kloster-Kurator Carsten Fromm. Während sechs Luther-Orte in Eisleben und Wittenberg und separat die Eisenacher Wartburg als Ort der Bibelübersetzung seit Jahren zum Unesco-Weltkulturerbe zählen, blieb dies aber dem Augustinerkloster – einem authentischen Luther-Ort – bislang verwehrt, bedauert er.
Dies könnte sich 2017 ändern. Dann könnte das Kloster als die „Wiege der Reformation“ mit anderen zwölf Orten in Mansfeld, Torgau und Coburg den Titel noch in einem Erweiterungsantrag bekommen. Besser könnte es 500 Jahre nach dem Anschlag der 95 Thesen Luthers gegen den Ablasshandel an der Wittenberger Schlosskirche nicht laufen, sagt Fromm. Die Gutachter des Internationalen Rates für Denkmalpflege Icomos stehen in Kürze vor der Tür.
„Es ist eine Herausforderung und ein Privileg, hier Pfarrerin zu sein und mit unterschiedlichen Menschen hier zweimal am Tag Gottesdienste zu feiern“, sagt Mildenberger. „Und manchmal feiern wir ihn im Sinne der Ökumene auch mit einem Pater der drei Augustinermönche, die es wieder in Erfurt gibt.“ Unter der wachsenden Besucherschar aus aller Welt seien auch Augustinermönche aus den USA gewesen. Sie wollten den Ort kennenlernen, wo „ihr Bruder Luther Mönch“ war.